Zeit: 5. - 13. September 2015
Wir befinden uns mittendrin: Mitten im Schlamassel einer “Finanzkrise”, die auch hierzulande die soziale Kluft verstärkt und Debatten über zukunftsfähige Entwicklung und Klimagerechtigkeit ausgebremst hat. Der Abbau sozialer Sicherungssysteme grassiert in Europa, flankiert von kurzsichtigen Privatisierungen als Folge schwindender öffentlicher Einnahmen und Handlungsspielräume. Die Krisen-Welle zeigt sich bis heute in erschreckenden (Jugend)erwerbslosigkeits-Raten v.a. in Südeuropa oder im Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung in Griechenland. Zu allem Überfluss sind wir auch mitten in der Phase, die über den Ausgang der globalen Klima- und Ressourcenkrise entscheidet: Über unsere Lebensgrundlagen, über zukünftige Generationen.
Doch all die Krisen haben einen gemeinsamen Nenner: unsere (Un-)Art des Wirtschaftens.
Wir können auch anders!
Bauen wir gemeinsam eine Ökonomie auf, die auf Kooperation statt Konkurrenz setzt und auf Sinn statt Gewinnorientierung fußt; eine Ökonomie der kurzen Wirtschaftskreisläufe und der resilienten Regionen als Alternative zu Extraktivismus und Raubbau an den Quellen unseres Lebens. Dazu bedarf es einer Aufwertung sinnvoller Arbeit in all ihren Formen sowie der Achtung der Natur. Die Herausforderung unserer Zeit besteht in einer großen Transformation: Hin zu wirksamem Klimaschutz und einer sozial und global gerechten Gesellschaft, in der die Ökonomie spürbar dem Gemeinwohl dient und ein Subsystem der Ökologie bildet.
Die gute Botschaft: Die Ökonomie der kurzen Wege und des Glücks... es gibt sie schon! Von der taz bis zur FAZ und in vielen Veröffentlichungen wird derzeit über kooperativ und zukunftsfähig wirtschaftende Beispiele berichtet. Weltweite Bewegungen der Solidarischen Ökonomie und verwandter Ansätze wie Commons, Gemeinwohlökonomie, Transition Towns, Postwachstum, Sharing Economy und dergleichen erfahren wachsenden Zulauf.
Solidarische Ökonomie (SÖ) heißt wirtschaften, um die Bedürfnisse der Menschen auf Basis freiwilliger Kooperation, Selbstorganisation und gegenseitiger Hilfe zu befriedigen (s. ripess.org, Peru 1997). Sie bildet damit eine Alternative zur konkurrenz- und profitorientierten Wirtschaftsform. Ihre Wurzeln liegen in traditionellen und indigenen gemeinschaftlichen Wirtschaftsweisen (inkl. Allmende-Wirtschaft/ Commons) und in der aus christlicher Sozialethik und frühsozialistischen Ansätzen entstandenen Genossenschaftsbewegung. Dazu kamen die Alternative Ökonomie und die Solidaritätsbewegung der 1970er und 80er Jahren, ohne die der ökologische Landbau, der faire Handel sowie die regenerativen Energien längst nicht da ständen, wo sie heute sind.
Alternative Wirtschaftsweisen bergen auch heute große Potenziale praktisch und kulturell zur notwendigen Transformation beizutragen:
Die notwendige Transformation ist nur im Zusammenwirken vieler gesellschaftlicher Akteure möglich. Mit einem Bündnis aus ca. 30-40 Organisationen möchten wir Anfang September 2015 zu einer Wandelwoche voller Exkursionen zu Projekten alternativen Wirtschaftens nach Berlin einladen. Anschließend wird ein Kongress unter dem Motto „Wir können auch anders! Solidarische Ökonomie in der Praxis“ solidarökonomische Beiträge zur notwendigen Transformation in Richtung Ökologisierung und sozialer, globaler Gerechtigkeit entwickeln und aufzeigen.
SÖ bedeutet eine Rückbesinnung der Wirtschaft auf die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse. Der Kongress fragt daher in einem ersten Schritt, wie wir unseren Grundbedürfnissen enkel*innen-tauglich nachkommen können. Dabei geht es um die gesamtgesellschaftliche Emanzipation von einer Konsumkultur und von Werbewelten, die materielle Wünsche schaffen, indem sie unsere immateriellen Bedürfnisse ansprechen.
Damit Wirtschaft nicht hungrig, sondern [alle!] satt macht, ist wiederum ein respektvoller Umgang mit (natürlichen) Ressourcen wie Boden, Wasser und Energie und ein gleichberechtigter Zugang für jede*n von essentieller Bedeutung. Dies wird nicht gelingen, ohne sich wieder auf regionale Produktionsketten und -netze zu besinnen. Dabei gilt es herauszufinden, worin die konkreten Hindernisse und Anliegen der Praktiker*innen alternativen Wirtschaftens liegen.Dort, wo die regionalen Ressourcen nicht genügen, ist internationale Zusammenarbeit angezeigt. Ökofairer Handel muss dabei wider WTO-Politik und Freihandelsabkommen wie TTIP zum Standard werden.
Neue solidarische Wirtschaftsformen über Grenzen und förderliche Rahmenbedingungen können auf Augenhöhe gemeinsam entwickelt und angestoßen werden. Angesichts einer europäischen Politik der Daumenschrauben, die das vielfältige Wissen der betroffenen Zivilbevölkerung außer Acht lässt, wollen wir Menschen aus beeindruckenden Selbsthilfe-Projekten und selbstverwalteten Betrieben zu Wort kommen lassen, um gemeinsame europäische Transformations-Perspektiven mit besonderem Augenmerk auf den derzeit gegängelten Süden Europas zu entwickeln. Auch und gerade in vielen Ländern Lateinamerikas wurden solidarische Wirtschaftsformen in Krisenzeiten erfolgreich erprobt. Einige sind heute so beeindruckend entwickelt, so z.B. die “Regionalforen” und “Incubadoras” Brasiliens, dass wir hieraus viel über gesellschaftliche Transformation "von unten" lernen können.
Schließlich sollen Wege und Schritte der Transformation hierzulande diskutiert werden. Hierzu fehlen zentralen gesellschaftlichen Akteuren bisher Gesprächspartner*innen, die die Breite alternativer Praxis widerspiegeln. In diesem Zusammenhang soll der Kongress einerseits Theoretiker- und Praktiker*innen alternativen Wirtschaftens zusammenbringen und andererseits Räume öffnen, wo Multiplikator*innen aus Kirchen, Gewerkschaften, Stiftungen, Politik, Medien, Hochschulen und NGOs sich über gemeinsame Vorstellungen der Transformation und des "guten Lebens" („buen vivir“) verständigen können.
Die zentralen Themenstränge des Kongresses sind somit:
Im Vorfeld des Kongresses wollen wir erkunden, welche Möglichkeiten Solidarischer Ökonomie schon heute gelebt werden. Hierzu sollen Betriebe und Projekte der SÖ und verwandter Ansätze in Berlin und Brandenburg eingeladen werden, Interessierten Einblicke in ihre Arbeit zu geben. Die Wandelwoche kann sowohl der Vernetzung der Akteur*innen alternativen Wirtschaftens zu gute kommen als auch einen leichten Einstieg für ein breites Publikum in das Thema bieten. Projekte, Betriebe und Initiativen werden an bis zu 6 Tagen (Sa., 5. 9. - Do, 10. 9. '15) von Gruppen unterschiedlicher Größe besucht. Sie sollen insbesondere in den Bereichen "Lebensmittel, Wohnraum und Kleidung" ermöglichen, Beispiele einer anderen Lebens- und Wirtschaftsform besser kennenzulernen. Aus aktuellem Anlass könnte auch das Thema “Energie” gezielt einbezogen werden.
ca. 800 – 1.000 Menschen aus den Bereichen:
Um eine gesellschaftliche Transformation zu erreichen, die ein dauerhaftes "buen vivir" fördert (imSinne eines guten Lebens für alle im Einklang mit der Natur), gibt es drei Herangehensweisen:
Die Punkte 2.) und 3.) bilden den Fokus unserer Veranstaltung, da sie bisher vernachlässigt werden und/ oder weil sie so komplex sind, dass es systematischer gemeinsamer Aktivitäten bedarf.
a) Ein mittelfristiges Ziel von Wandelwoche und Kongress ist daher der Aufbau von Regionalforen zur Förderung sozio-ökonomischer Regionalisierung und regionaler Resilienz: Sie bilden einen wesentlichen Baustein, um alternative Praxen (s. 2.) dauerhaft zu fördern und unseren Beitrag (Industrieländer) gegen Ressourcenvernichtung (s. 1.) und Extraktivismus zu leisten.
Mögliche konkrete Aktivitäten solcher Regionalforen sehen wir in der Verbreitung und Vermittlung guter Praktiken, Aufstellung entsprechender Programme und Vernetzung in Bezug auf...
b) Ein weiteres mittelfristiges Ziel zur Förderung alternativer Praxen (s.2.) und struktureller Transformation (s.3.) ist die internationale Vernetzung anstelle zu nationalistischer Abschottungskonzepte.
c) Der Kongress soll außerdem im Rahmen sog. Gesprächs-”Foren” (s. “Methodisches”) wesentlich die Entwicklung gemeinsamer Strategien vorantreiben (s. 3.), um strukturelle, politische und kulturelle Schritte zu entwickeln, die einer großen Transformation den Weg ebnen. Dabei können aktuelle Debatten über Herausforderungen wie Peak Oil, Ressourcengrenzen u. Klimaschutz (COP 21, 30.11.- 11.12.'15, Paris), aber auch Erwerbslosigkeit u. Prekarität, Pflegenotstand oder klamme öffentliche Kassen als Gelegenheitsfenster für neue Erzählungen & Strategien des Wandels genutzt werden. Meta-Theorien zu gesellschaftlichem Wandel folgend, gilt es die drei Veränderungsebenen “Kultur” (Werte; Bewußtsein), “Regime” (ökonom. Strukturen; Institutionen; ...) und “Nischen” gesondet in den Blick zu nehmen. Hieraus ergeben sich verschiedene Herausforderungen für die verschiedenen Akteure.
d) Im Vorfeld möchten wir die Akteure der SÖ und verwandter Ansätze als wichtige Player der ökonomischen Transformation zusammenbringen:
Wandelwoche (5. - 10. Sept. ’15 - Samstag bis Donnerstag)
Ca. 40 kooperative Projekte und Betriebe laden ca. 300 Teilnehmende des Kongresses und Interessierte aus Berlin und ganz Deutschland phasenweise zu sich ein. Daraus entsteht ein buntes Programmheft der Praxis sowie Touren und Exkursionen über 1-4 Tage mit spezifischen Themen und Fragestellungen.
Kongress (10. - 13. Sept. ’15 - Donnerstag bis Sonntag)
Eine Mischung aus zusammenbringenden Großveranstaltungen (PODIEN), mittelgroßen Veranstaltungen (FOREN mit 80-200 Teilnehmer*innen) und vielen kleinen Runden (WORKSHOPS mit 20-40 Teilnehmer*innen), um einerseits gemeinsames Wissen und gemeinsame Debatten zu ermöglichen und andererseits zu aktivieren und direkte Kontakte zu fördern. Raum für Partizipation schaffen, Mitreden und Mitgestalten ermöglichen. Hierzu könnte es nach dem Modell der Degrowth-Konferenz täglich eine einstündige OPEN SPACE-Phase geben. In partizipartiven Gesprächs-FOREN mit wenig Input und viel Platz für Fragen, Debatten & neue Ideen helfen themenspezifische Formen wie Fishbowl oder Plena und Kleingruppen & geschulte Großgruppen-Moderator*innen dabei, Menschen und Meinungen zusammen zu bringen. Hier ist insbesondere Raum für die Entwicklung von Kooperationen und die Diskussion möglicher gemeinsamer Strategien und Schritte des Wandels.