Clarita Müller-Plantenberg ist Lateinamerika-Soziologin und Teil der Solikon2015-Unterstützer*innen-Gruppe. Auf dem Kongress setzt sie sich vor allem für das Thema "Aus dem globalen Süden lernen" und Belegschaftsübernahmen ein. Im Interview mit der Zeitung Contraste erklärt sie, was für sie das Besondere am Solikon2015 ist und was wir aus dem globalen Süden lernen können. Einen ersten Programm-Überblick zu dem Thema findet ihr weiter unten zum Download.
Wir müssen vom globalen Süden lernen
Clarita Müller-Plantenberg ist Lateinamerika-Soziologin und darüber hinaus eine echte Frau der Praxis der Solidarischen Ökonomie. Sie hat Jahrzehnte in Lateinamerika geforscht und zahlreiche Initiativen vorangetrieben. Clarita Müller-Plantenberg hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das reiche Wissen des globalen Südens in die ganze Welt zu tragen.
Was ist für Dich das Besondere an diesem Kongress?
Der Kongress ist dafür da, eine breitere Öffentlichkeit für das Thema solidarische Ökonomie zu gewinnen. Das kann nur ein gemeinsamer Prozess sein, deshalb ist es spannend, wenn man andere Menschen sieht und hört, die von ihrer anderen Praxis berichten, wie anders produziert, verkauft und konsumiert wird. Damit öffnet sich der Blick darauf, wie Arbeit und Politik hierarchiefrei organisiert werden können. Die solidarische Ökonomie kann eine Strategie gegen soziale Ausgrenzung sein. Die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse darf man nicht für gegeben und notwendig halten, sondern es geht um die Alternative, ein erfülltes Leben zu ermöglichen. Der Norden und der globale Süden müssen voneinander lernen, weil einige Länder weiter sind, als wir hierzulande.
Inwiefern können wir aus dem globalen Süden lernen?
Das Lernen aus dem globalen Süden ist für uns enorm wichtig, weil sie zum Einen früher konfrontiert waren mit neoliberaler Politik und zum Anderen, weil im globalen Süden der Kapitalismus nicht überall voll durchgeschlagen hatte. Deshalb existierten die Überreste nichtkapitalistischer Formen von Produktion und Konsum und Naturverhältnissen noch. Wir gehen besonders auf Brasilien ein. Aber auch auf Asien und Afrika. Wir können dort sehr wichtige Anregungen bekommen auch und gerade im Hinblick auf den Mut angesichts eines extremen Elends. Es geht darum neue Wege zu wagen, neue Institutionen zu gründen, komplexe Organisationsformen aufzubauen, Existierendes in Frage zu stellen, Solidarität wirklich bewusst auch zur Rettung von Leben einzusetzen. Es soll um den Aufbau einer Bewegung für die Solidarische Ökonomie gehen. Überall in Lateinamerika bilden sich Foren heraus, in denen sich die Unternehmen, ihre Unterstützer und staatliche Stellen regelmäßig trafen. Es bildeten sich schließlich auch Politiken heraus, um ganz gezielt Solidarische Ökonomie von Seiten der Stadtverwaltung oder auch bundesstaatlichen Regierungen zu fördern. Solidarische Ökonomie ist auch für die Kommunen von Interesse, denn sie bringt Inklusion durch die Unterstützung bei der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen, durch die Herausbildung lokaler Ökonomien und der Herausbildung von Netzen und Ketten. Die Kriminalität verliert so ihren Nährboden und die Kommunen erkennen zunehmend ihre Vorteile. Neben den Foren organisierten sie auch Ausbildungsprojekte und Unterstützungsprojekte. Davon versuchen wir zu lernen und deshalb haben wir auch den Staatssekretär für Solidarische Ökonomie Paul Singer und Mitglieder des Forums für Solidarische Ökonomie FBES aus Brasilien eingeladen, die den Aufbau Solidarischer Ökonomie jetzt schon 12 Jahre in Kooperation praktizieren.
Wie kann man die Ideen der Solidarischen Ökonomie weiter umsetzen?
Wir brauchen UTOPIEN, die wir verfolgen können, weil das, was am sichersten scheint, am unsichersten ist. Wir laufen in eine Sackgasse hinein. Dieser Kongress soll zeigen, dass eine dauerhafte solidarische Vernetzung in den eigenen Bezirken, Kommunen, Landkreisen und Bundesländern gemeinsame Strategien ermöglichen kann. Regionale Foren der solidarischen Initiativen und Wirtschaftsunternehmen mit den Unterstützern der solidarischen Ökonomie und sogar mit seinen Gebietskörperschaften müssen entstehen. Es braucht eine ständige Kommunikation der notwendigen Schritte für die Agrarwende und für die Energiewende, damit lebensfeindliche Risikotechnologien gemeinsam geächtet werden. Das ist der Kern der Sache und das ist nicht nur eine Nische, sondern eine ökonomische, eine politische und vor allem eine gesellschaftliche Strategie. Die Wirtschaft wird wieder eingebettet in die Gesellschaft, da sie wieder demokratisch von der Gesellschaft kontrolliert wird. Das wird nicht automatisch passieren. Aber es kann erreicht werden, wenn wir diese Utopien für unsere spezifische Situation umsetzen, um wirklich Verantwortung zu übernehmen, als Menschen, als Mütter, als Väter und als Großeltern.