Unternehmen in Selbstverwaltung: Eine Herausforderung im neoliberalen Brasilien

Unternehmen in Selbstverwaltung: Eine Herausforderung im neoliberalen Brasilien

Flavio Chedid Henriques

Flavio Chedid Henriques hat aus Überzeugung von der Bewegung für solidarische Ökonomie in Brasilien Inkubatoren für selbstverwaltete Unternehmen begleitet. Chedid berichtet über die Unterschiede zwischen Beratungstätigkeiten für klassische Unternehmen und Begleittätigkeiten für selbstverwaltete Kooperativen, über Herausforderungen und die individuellen Erwartungen und Ängste der nun in kollektiver Verantwortung stehenden Mitarbeiter*innen. Für ihn ergibt sich aus seinen Beobachtungen und Erfahrungen eine zentrale Forderung: sowohl Studierende von Ingenieursberufen als auch Studierende humanwissenschaftlicher Studiengänge werden nicht an eine solche kollektiven, solidarische und alternative Wirtschaftsweise geführt, obwohl sich auch für sie neue Berufsbilder und Chancen ergeben könnten. Durch eine Kooperation zwischen kollektiv geführten Unternehmen und Hochschulen könnten beide Seiten profitieren und die Kluft zwischen Arbeiter*innen und Ingenieur*innen überwinden.

Die Arbeiterklasse in Brasilien ist seit den 1990er Jahren starken Veränderungen ausgesetzt. Eine zunehmende Globalisierung im Rahmen des Demokratisierungsprozesses mit einer starken Orientierung an einer neoliberalen Marktwirtschaft hat dafür gesorgt, dass immer mehr Menschen ihre Arbeit verloren. Die wichtigsten Anliegen der Arbeiter*innen waren nun der Erhalt von Arbeitsplätzen und die Schaffung von bezahlbaren Wohnräumen. Die „Bewegung für solidarisches Wirtschaften“ fühlte sich dazu berufen, eben solchen Personen Alternativen anzubieten, die durch den radikalen Wandel Gefahr liefen, ohne Arbeit und ohne Dach über dem Kopf auf der Strecke zu bleiben. Der Bewegung schlossen sich nicht ausschließlich Arbeiter*innen an, sondern ebenso Ingenieur*innen und Techniker*innen, aber auch Akademiker*innen anderer Fachbereiche, die von einer alternativen, solidarischen Wirtschaftsweise überzeugt sind. Sie vernetzten sich und gründeten – teilweise mit Unterstützung durch Bildungseinrichtungen – Inkubatoren für selbstverwaltete, kooperativ und solidarisch geführte Unternehmen. Sie sollen in erster Linie Kollektiven von Arbeiter*innen eine Stütze sein, die marode Fabriken selbstverwaltet wieder rentabel machen wollen oder neue Unternehmen gründen wollen. Sie sollen aber auch die aus den Gründungsphasen von Kooperativen gemachten Erfahrungen nutzen, um Herausforderungen und Schwierigkeiten in Zukunft besser bewältigen zu können. Zusätzlich soll die Entwicklung neuer, zukunftsorientierter Technologien in speziellen Forschungszentren die Bewegung für solidarische Ökonomie stärken und zum Fortbestand und zur Verbreitung dieser Idee beitragen. Nach wie vor muss diese alternative Wirtschaftsform um Anerkennung kämpfen. Selbst in Kreisen führender Forscher*innen der Ingenieurswissenschaften wird dieses Konzept weitgehend ignoriert. Es stellt einen Gegenentwurf zur staatlich durchgesetzten, neoliberalen Wirtschaftspolitik dar.

Die großen Unternehmen Brasiliens befinden sich entweder in privater Hand oder sind Ableger international agierender Multinationalen Konzerne. Der brasilianische Staat gewährt ihnen – unter anderem mittels der brasilianischen Entwicklungsbank – üppige Finanzspritzen, um die stagnierende Wirtschaft anzukurbeln. Warum gelten nicht die gleichen Prinzipien für selbstverwaltete, kooperativ geführte Unternehmen? Gerade dann, wenn sie weniger Kapital zur Verfügung haben und ein gemeinschaftliches Ziel verfolgen? Grund dafür ist eben jene gesellschaftliche Ausrichtung neoliberaler Politik, die Klassenunterschiede schürt und die die Schere zwischen arm und reich weiter auseinanderdriften lässt. Die stabile, sich selbst über Generationen erhaltende Oberschicht lässt ihre Sprösslinge gut ausbilden – unter anderem zu Ingenieur*innen – und gibt ihnen einen attraktiven Arbeitsplatz, der Wohlstand garantiert und den elitären Status der Eltern auf sie überträgt.

Bildung und Wohlstand sind untrennbar miteinander verbunden. Wenn man sich an eine Abschottung vom Rest der Gesellschaft gewöhnt hat, betrachtet man den eigenen Status als naturgegeben. Diese Haltung, die die gravierenden sozialen Ungleichheiten des Landes verfestigt, definiert die Bildungspolitik mancher Hochschulen und gibt Anlass, über Folgendes nachzudenken: Wenn gesellschaftliche Nähe zwischen Akademiker*innen und Arbeiter*innen durch den allgemeinen Bildungsstand bestimmt wird, dann scheint diese Kluft in Brasilien nahezu unüberwindbar. Insbesondere Wissenschaftler*innen, die mit dem Strom schwimmen und aufgrund ihrer eigenen Herkunft und ihres eigenen Status lieber „die Rolle eines Verteidigers von Kapitalinteressen anstelle der eines Verteidigers von Interessen der Arbeiter*innen übernehmen“[i], tragen dazu bei. Nicht selten sind Studierende wie Professor*innen der höheren Ingenieursausbildung familiär oder freundschaftlich mit Unternehmer*innen und hohen Funktionsträger*innen multinationaler Firmen verbandelt, weswegen diese Studiengänge zusehends zu einer Elitenbildung beitragen. Die Studieninhalte werden dem Klientel angepasst, die Realitäten vieler werktätiger Brasilianer*innen werden schlichtweg ausgeblendet. Der vorgesehene Lehrplan behandelt weder Studien zu informellen Beschäftigungsverhältnissen noch zu Kooperativen oder Klein- beziehungsweise Kleinstbetrieben. Zu argumentieren, man könne die gängigen Untersuchungsmethoden zu Großunternehmen ebenso auf alle anderen Unternehmensarten anwenden, spiegelt den brasilianischen Positivismus und ignoriert die spezifischen Charakteristika solcher Arbeitsgruppen ebenso, wie sie die vorherrschende Ideologie, die hinter modernen technischen Entwicklungen für den privaten Kapitalmarkt steckt, ignoriert.

Nun stellt sich die Frage, was denn eigentlich die spezifischen Charakteristika selbstverwalteter Unternehmen sind. Idealerweise handelt es sich um eine Firma oder Fabrik, die eigenständig und erfolgreich durch die (absolute) Mehrheit der eigenen Belegschaft geführt wird. Entscheidungen, die die strategische Ausrichtung und die Zukunft des Unternehmens betreffen, werden auf gemeinschaftlicher Basis getroffen. Das heißt: Es gibt nicht mehr einen Chef, sondern flache Hierarchien. Die Belegschaft wird dazu angehalten, sich aktiv an der Firmenpolitik zu beteiligen. In der Regel fühlen sich solche Arbeitnehmer*innenkollektive einem größeren Ideal verpflichtet – wie der Bewegung für solidarisches Wirtschaften. Solche Kollektive beanspruchen selten den Begriff ‚Selbstverwaltung‘ für sich, bekannte Eigenbezeichnungen sind beispielsweise „Assoziierte Produktionsgruppe“ (Grupos de producão associada), „Volkswirtschaftliche Gruppen“ (Grupos da economia popular) oder „Volkskooperativen“ (Cooperativas populares).

Als Basis der in diesem Artikel genannten Definitionen und Feststellungen dient eine Feldforschung Chedids, die im Rahmen seiner Masterarbeit erhoben wurde. Er sprach mit mehreren Mitgliedern von Beratungs- und Begleitteams entsprechender Inkubatoren, die mindestens drei Jahre in diesem Bereich tätig gewesen sind[ii]. Kommentare und Meinungen von an selbstverwalteten Unternehmen beteiligten Arbeiter*innen wurden ebenso einbezogen. Dabei ging es speziell um den Beratungs- und Begleitprozess von Arbeiter*innen der „Produktionskooperative des Staates Rio de Janeiro für Schrauben“ (Cooperativa de Produção de Parafusos do Estado do Rio de Janeiro – COOPARJ) – einer jüngst sanierten Fabrik – durch das Zentrum für technische Solidarität der Universität Federal do Rio de Janeiro (Núcleo de Solidariedade Técnica – SOLTEC). Sowohl die Kooperative als auch das Zentrum für technische Solidarität gehören dem Netzwerk für Kooperativen in Gründung ITCP/COPPE (Incubadora Tecnológica de Cooperativas Populares/Instituto Alberto Luiz Coimbra de Pos-graduação e Pesquisa de Enngenharia) an. Formulierte Ziele des Beratungs- und Begleitprozesses der ITCP sind Folgende: 1) Die Unternehmen müssen ‚trotz Selbstverwaltung‘ rentabel sein; 2) die Kollektive müssen langfristig unabhängig von Inkubatoren und anderen Akteur*innen handlungsfähig sein; 3) trotz nicht vorhandener Schul- oder akademischer Ausbildung muss sich die Belegschaft das entsprechende Know-How zu Unternehmensführung und Produktionsabläufen aneignen. Konkret konzentrieren sich die Beratungs- und Begleittätigkeiten auf vier Kernbereiche der Unternehmensführung: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit; Unternehmensrecht; Aus-, Fort- und Weiterbildung; Unternehmensaufbau, -struktur und –organisation. Zunächst einmal müssen sich die betroffenen Arbeiter*innen das Wissen aneignen, dass ihnen erlaubt, auch Aufgaben selbst zu übernehmen, die klassischerweise eine übergeordnete Firmenleitung übernimmt. Dazu gehört: Verwaltung, Produktionsplanung sowie -steuerung, Rechnungswesen, Unternehmensrecht und entsprechende Spezialisierungen je nach Produktionsbereich. Aus Sicht der Beratungsteams bedeutet ihre Tätigkeit, „[z]unächst einmal nur das als Ausgangspunkt der Arbeit nehmen, was die Menschen dieser speziellen Gemeinschaft oder Gruppe kennen und wissen, also die Menschen, die daran beteiligt und davon betroffen sind. Davon ausgehend kannst du das Wissen und die Kenntnisse vermitteln und in einen Dialog treten, damit die Gruppe sich weiterentwickeln kann; damit sie ihr Auskommen erwirtschaften kann. Dies trägt zu einer Entwicklung ihrer Gemeinde bei und sie sind in der Lage, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen.“[iii]. Die Menschen dieser speziellen Gemeinschaft oder Gruppe „[…] sind die Protagonisten der solidarischen Ökonomie, die jeden Tag schuften, mit den Werkzeugen hantieren, die Bildungsangebote nutzen und Methoden entwickeln, sich die Theorie praktisch anzueignen.“[iv] Unterstützend beteiligt sind in den aufgeführten Teilbereichen nicht ausschließlich NGOs aus dem zivilen, linken politischen Spektrum. Gerade in Bezug auf Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sind auch Privatunternehmen unterstützend tätig, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind und sich den sozialen Bewegungen angenähert haben. Solidarität durch einige Privatfirmen erfuhr beispielsweise die „Bewegung Betroffener durch Staudämme“ (movimento dos atingidos por barragems). Im Rahmen der Konsolidierung von Arbeiter*innen maroder Fabriken, die selbstverwaltet ihre Arbeit und die Produktion ihrer Fabrik übernehmen wollen, sind gerade Begleitung und Beratung in diesen vier Kernbereichen unter Beteiligung privater Unternehmen, die regional vernetzt sind, von unschätzbarem Wert, denn „[d]ie Positionierung selbstverwalteter Unternehmen in der politischen Landschaft – zum einen in Bezug auf öffentliche, politische Entscheidungsprozesse und zum anderen in Bezug auf die Beziehungen zu weiteren selbstverwalteten Unternehmen – ist noch immer eine relativ schwache“[v].

Ausgebliebene Investitionen und Modernisierungen in der Produktionstechnik sind Hauptgrund dafür, dass viele Fabriken nicht mehr rentabel sind. Sie wurden häufig von den Inhabern vernachlässigt, da eine unzureichende infrastrukturelle Anbindung im ländlichen Brasilien Produktions- und Vertriebskosten steigen ließ. Gleichzeitig hat sich die ländliche, arme Bevölkerung solchen Fabriken nie sonderlich verbunden gefühlt, da ihre vorherigen Besitzer*innen (patrões) den wenigen wohlhabenden, landbesitzenden Familien entstammen. Sie schufen Arbeitsverhältnisse – ob in der Landwirtschaft oder in der Produktion – die aufgrund des niedrigen Arbeitslohns, mangelnder Schul- und Ausbildungsstätten, der Unterbringung der Arbeiter*innen, der nicht vorhandenen Sozial- oder Krankenversicherungen an die Zeiten der Sklaverei erinnern. Aufgrund dessen muss ebenso eine regionale Integration mit Unterstützung anerkannter lokaler NGOs wie Nachbarschaftsverbänden und sozialen Bildungseinrichtungen stattfinden. Teilweise muss im Bildungsbereich überhaupt erst bei der Alphabetisierung begonnen werden, da nur wenige der langjährigen Arbeiter*innen des Lesens und Schreibens mächtig sind. Gleiches gilt für die Einbeziehung von Gewerkschaften, wenn es um Arbeitsrecht und ein gemeinsames Einstehen für faire Arbeitsbedingungen geht. Nicht nur in den brasilianischen Großstädten, sondern auch im ländlichen Norden und Nordosten des Landes ist die Kluft zwischen arm und reich unvorstellbar. In dem Maße, in dem die Infrastruktur auf die Bedürfnisse der neu zu etablierenden Unternehmen in Selbstverwaltung angepasst und modernisiert werden muss, muss ein neues Denken über Unternehmensführung den Angehörigen des Kollektivs vermittelt werden, von denen ein Großteil zuvor in einem abhängigen Arbeitsverhältnis gestanden hat. Gerade viele der langjährigen Fabrikarbeiter*innen haben mit 14 Jahren oder sogar früher begonnen, in Fabriken zu arbeiten und haben – abgesehen vom Arbeitsverhältnis zwischen sich und ihrem patrão – selten bis gar nicht Kontakt zu Akademiker*innen gehabt. Sie sind zunächst verunsichert und müssen sich an ihre neue, verantwortungsvolle Rolle gewöhnen: „Du hast nicht mehr die Sicherheit, die dir der Patrão gegeben hat.“, „Ein Supervisor fehlt, jemand, der die Fäden in der Hand hat.“, „Es fehlt die Übernahme der Verantwortung durch ein Direktorium.“

Kollektive zu beraten und zu begleiten erfordert daher Methoden, die auch diese Kluft zwischen ‚reicher Bildungselite‘ und ‚armen Fußvolk‘ zu verkleinern vermag. Dies ist ein fundamentaler Bestandteil des Kampfes der Bewegung für mehr soziale Gerechtigkeit. Leider lassen viele Inkubatoren eine Methodik in ihrer Beratungs- und Begleittätigkeiten vermissen, insbesondere bezogen auf die für die Konsolidierung eines selbstverwalteten Unternehmens prägende Gründungs- oder Umstellungsphase. Der ITCP – unter anderen – ist es jedoch gelungen, eine Strategie zu entwickelt, die zum Erfolg des Inkubationsprozesses beitragen kann. Dieser ist stark davon abhängig, inwieweit es der ITCP gelingt, kooperative Unternehmen als rentable Produzenten in die ‚Unabhängigkeit‘ zu entlassen. Allerdings auch davon, inwieweit sich die an einer Kooperative beteiligten Arbeiter*innen auf eine gemeinsame Linie, ein gemeinsames Ziel einlassen: „Es ist eigentlich schon unmöglich, begleitend tätig zu sein oder ein erfolgreiches kollektives Unternehmen zu etablieren, wenn sich die Vorstellungen der Belegschaft des Kollektivs gravierend unterscheiden. Aber stell dir mal vor, wenn sie dieselben teilen: Ein Kollektiv zur Selbstverwaltung eines Unternehmens gründen zu wollen, und einen starken gemeinsamen Willen dazu zu haben, das ist etwas, was uns in unserer Arbeit absolut nach vorne bringt.“[vi] Ist dies geglückt und fühlen Arbeiter*innen eines Kollektivs sich gut beraten, fallen Stimmungsbilder zur neuen Wirtschaftsweise auch positiver aus: „In den normalen Fabriken gibt es einen festen Zeitplan, wann man kommt, wann man geht, wann man isst… Hier ist es besser, der Supervisor fehlt, aber nicht mir.“ Je mehr Unternehmen rentabel und unabhängig agieren können, desto mehr wird die ITCP und ihre Strategie wahrgenommen. Diejenigen, die am meisten von einem erfolgreichen Inkubationsprozess profitieren, sind die an der Kooperative beteiligten Arbeiter*innen. Im Vorfeld hatten die nur wenig Erfahrung, was die Leitungstätigkeit solcher Fabriken betrifft. Daher ist es besonders wichtig, zum frühestmöglichen Zeitpunkt während des Inkubationsprozesses die Belegschaft in die Prozesse einzubinden und ihnen Techniken zu vermitteln, die ihnen dabei helfen, das Unternehmen in die eigenen Hände zu nehmen. Kurzum: Voraussetzung erfolgreicher kollektiver Arbeit in einem selbstverwalteten Unternehmen ist die Zusammenarbeit zwischen Begleiter*innen und Arbeiter*innen auf Augenhöhe während des Inkubationsprozesses. In diesem Sinne ist Punkt c) einer der entscheidendsten, didaktischen Eckpfeiler für einen erfolgreichen Inkubationsprozess. Im Falle der COOPARJ ging es im Besonderen um Beratung und Begleitung für Produktions- und Vertriebsabläufe: Erarbeitung von Geschäftsplänen; die Entwicklung von Warenlager- und Verkaufskontrollsystemen, einhergehend mit Erhebungen bezüglich der Anlagenplanung, der Produktionsplanung und -steuerung sowie des Prozessmappings. Im Laufe ihrer Konsolidierung musste sie sich harten Wettbewerbsbedingungen stellen, da sie in ein einem Wirtschaftsbereich agiert, in dem sowohl Zulieferer als auch Kunden über eine große Handelsmacht verfügen. Eine angespannte Wettbewerbslage wird geschaffen. Die veralteten Produktions- und Vertriebsmaschinen, fehlende Investitionen und eine starken Schwankungen ausgesetzte Produktpalette von mehr als 500 unterschiedlichen Produkten erschwerten das Ziel, die COOPARJ als rentable Kooperative in die Unabhängigkeit zu entlassen. Der COOPARJ blieb nur ein Ausweg: auf Vorrat zu produzieren.

Solche Probleme könnten durch politische Maßnahmen gelöst oder zumindest entschärft werden, sofern politische Vertreter*innen überhaupt ein Interesse an solchen Produktionskooperativen haben. Genau hierin liegt allerdings eine der Hauptaufgaben der Begleittätigkeit: Überparteilich muss politisches Interesse geweckt und Lobbyarbeit betrieben werden, die deutlich machen, welchen Nutzen alternative Wirtschaftsweisen langfristig für die brasilianische Gesellschaft haben werden. Eine interdisziplinäre Herangehensweise in der Begleittätigkeit, also eine Kooperation zwischen Studierenden technischer Bereiche und Studierenden der humanwissenschaftlichen Bereiche – wie der Soziologie – trägt entscheidend zum Erfolg eines solchen Projektes und zur Erweiterung des eigenen Erkenntnishorizontes bei. Das Wunschziel, selbstverwaltete Unternehmen in die Unabhängigkeit zu führen und gleichzeitig die Bedürfnisse der Kollektivangehörigen zu berücksichtigen, kann durch eine solche interdisziplinäre Kooperation weitaus besser erreicht werden. Eine Einbindung Studierender in die Begleittätigkeit solcher Gruppen sorgt zukünftig für mehr professionelle und Erfahrene Begleiter*innen, die sich mit den kollektiven Projekten und dem Ideal des solidarischen Wirtschaftens identifizieren. Das Erleben der Wirklichkeiten der Arbeiter*innen kann dazu beitragen, die technischen und politischen Wissenslücken – wie zu Beginn angeführt – der Studierenden in diesen Bereichen zu schließen. Die kontinuierliche Präsenz bereits ausgebildeter und erfahrener Ingenieure sowie anderer Fachleute, die über technische Lösungen und neue Entwicklungen im Rahmen der Bewegung für solidarische Ökonomie nachdenken, ist absolut notwendig, damit rein ideologische Überlegungen nicht übliche und notwendige Arbeitsstrukturen, Organisationsabläufe und Vorgehensweisen überlagern. Im Großen und Ganzen kann eine ausgewogene, wohlüberlegte und interdisziplinäre Begleittätigkeit dazu beitragen, gemeinsam mit den Arbeiter*innen innerhalb der Bewegung für solidarische Ökonomie neue Modelle und Konzepte zu entwickeln, die die kollektive Arbeit erleichtern und die Prinzipien der Bewegung berücksichtigen.

Zusammenfassung des Artikels von Flavio Chedid Henriques aus dem brasilianischen Portugiesisch Simon Hirzel

 

[i] Dagnino, Renato und Henrique Novaes (2006): O Papel do Engenheiro na Sociedade, in: III Encontro Nacional de Engenharia e Desenvolvimento Social, S. 2.

[ii] Mitarbeiter*innen folgender Inkubatoren wurden befragt:

Incubadora Tecnológica de Cooperativas Populares da COPPE – ITCP/COPPE
Cooperação e Apoio a Projetos de Inspiração Alternativa – CAPINA
Incubadora de Cooperativas da UFF/UNITRABALHO
Instituto Brasileiro de Análises Sociais e Econômicas – IBASE
Centro de Educação e Documentação para Ação Comunitária – CEDAC
Federação de Orgãos para Assistência Social e Educacional – FASE
Instituto de Políticas Alternativas para o Cono Sul – PACS
Associação Nacional de Trabalhadores e Empresas de Autogestão – ANTEAG

[iii] Marcos Albuquerque, Mitarbeiter des CEDAPS (Centro de Promoção da Saúde)

[iv] Rosemary Gomes, Mitarbeiterin der FASE.

[v] Siehe Endnote ii.

[vi] Bárbara Franca, Mitarbeiterin von Unitrabalho/UFF.